Georg Böhm –

Heimatdichter und Bürgermeister von Oberkotzau 1945/1946

Peter Braun

Zur Person von Georg Böhm

Georg Böhm hat sich vor allem als Heimatdichter des Frankenwalds einen Namen gemacht. Dringt man tiefer in die Geschichte vor, zeigt er sich auch als beruflich und politisch vielseitig begabter Mensch. Als Chemiker setzte er in der Textilindustrie Impulse. Politisch findet man ihn auf Kandidatenlisten, darunter für eine Bezirks- und Kreiswahl im Stimmkreis Naila-Münchberg in den frühen 1920er Jahren der Weimarer Republik. Hervorstechend ist allerdings die Tatsache, dass er nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten als Bürgermeister von Oberkotzau eingesetzt wurde.  Genug Gründe sich mit dieser Persönlichkeit genauer zu befassen und Puzzlestücke aus seinem Leben festzuhalten, so wie sie sich aus bis heute erhaltenen Unterlagen zusammensetzen lassen. Es zeichnet sich ab, dass man sich künftig im Stadtarchiv Helmbrechts und im Gemeindearchiv Oberkotzau noch genauer über seine Lebensgeschichte informieren kann.

Georg Böhm ist am 11. April 1900 in Helmbrechts geboren und am 11. Dezember 1961 in Erlangen verstorben. Er war verheiratet mit Ida Böhm, geborene Rammensee. Nach seinen Schilderungen muss er sie 1927 in Amerika geheiratet haben, 1929 kehrte er nach Deutschland zurück. Aus der Ehe ist eine Tochter hervorgegangen.

Portraitfoto Georg Böhm aus den 1920er Jahren (Privatbesitz)

Nach seiner Zeit als Bürgermeister hat Georg Böhm auf mehreren mit Hand geschriebenen Seiten Etappen seines bisherigen Lebens festgehalten und kommentiert. Als 18jähiger lernt er in den letzten Kriegsmonaten 1918 noch die Schrecken des Ersten Weltkrieges in Frankreich und Belgien kennen. Krank mit Geschwüren, die er als Folgen einer Gasvergiftung  vermutet, kehrt er heim. Freunde sind gefallen, seine Mutter zuhause verstorben.  Die Pflicht gegenüber seiner Mutter ein „brauchbarer Mensch“ zu werden, lässt ihn nach vorne schauen, er schließt sein Studium erfolgreich in Nürnberg ab. Er arbeitet in Elsterberg, Münchberg und um 1922 in Sorau in der Niederlausitz (heute Żary) und versucht seine Studien in Breslau fortzusetzen. Auch wenn er wiederkehren würde, fasst er 1923 den Entschluss in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern. Er lebt in Boston, Providence und New York. Er heiratet 1927. Er wird 1928 Mitglied im YMCA und schließt sich 1929 den Freimaurern an. Im Jahr 1929 kehrt er dann nach Deutschland zurück und findet Arbeit in Oberkotzau als Chemiker und vermutlich Abteilungsleiter der Färberei der Firma Summa. Die Arbeitsverhältnisse und das gesellschaftliche Leben beschreibt er als Enttäuschung und mit Machtergreifung und Kriegsbeginn spitzt sich auch sein persönlicher Unmut zu. Seine berufliche Tätigkeit und seine Aktivitäten u.a. beim NSKK und seit 1944 als „Kreisluftschutzchemiker“ bewahren ihn vor der Front.

Aus einem der erhaltenen Gedichtbüchlein von Georg Böhm

Bürgermeister von Oberkotzau

Vom 29. auf den 30. April 1945 wurde der bisherige Bürgermeister von Oberkotzau Herpich, seit dem 6. März 1945 im Amt, von den Amerikanern verhaftet und dafür Dr. Georg Böhm als neuer Bürgermeister eingesetzt. Georg Böhm füllte dieses Amt über ein Jahr bis zum 25. November 1946 aus und es folgten geregelte Wahlen aus denen der bisherige 2. Bürgermeister Wilhelm Schödel als Wahlsieger hervorging.

Aus persönlichen Notizzetteln von Anfang Mai 1945 lassen sich Überlegungen zu noch vorhandenen Ressourcen entnehmen, darunter ein größerer Bestand von Ziegelsteinen der Firma Schaller. Baustoffe, wie Fensterholz aus Schwarzenbach, Dachpappe und Kalk,  die man bei benachbarten Firmen sichern müsste. Seine Überlegungen die Hefefabrik schnell wieder in Betrieb zu nehmen, um zunächst Tauschwerte für andere dringend benötigte Güter zu schaffen. Kohlezuteilungen müssen organisiert werden, für Instandsetzungsarbeiten fehlen noch Werkzeuge. Die Frage nach den Rechtsverhältnissen der noch vorhandenen Panzersperren, wo man das Holz für andere Zwecke benötigen könnte. Für den Befehlshaber der Amerikaner hat er sich in englischer Sprache ebenfalls Notizen gemacht. Ob sonntags in der Kirche Gottesdienst gehalten werden dürfte, ob er bestellte Medikamente vom Bahnhof ins Lazarett transportieren lassen dürfte und was mit den Uniformen in der Turnhalle, die Teil einer Volksopfer-Spende waren, geschehen sollte.

Mitte Mai schildert der Bürgermeister die Situation: Oberkotzau nimmt 500 Personen auf, die Kapazitäten sind damit weit überschritten. Etwa 400 Gebäude sind beschädigt oder zerstört. Die Schule ist mit zwei Krankenhäusern, die mit Belegschaft und Patienten mehr oder weniger geschlossen aus Schlesien – nämlich Wohlau (heute Wołów) und Steinau (heute Ścinawa) –  geflüchtet sind, überfüllt.  Im Ort sind außerdem ehemalige polnische Zwangsarbeiter und einquartierte „farbige“  (Zitat) Truppenteile.

Als Bürgermeister hatte er sich um die akute Not der Bevölkerung zum unmittelbaren Ende des Krieges zu kümmern. Eine eigens gegründete Wohnungskommission, namentlich vertreten von einem Herrn Bergmann, organisierte die Verteilung von Flüchtlingen – Personen mit ungewissem Schicksal, die sich gerade in der Gegend befanden – auf Häuser im Ort. Neben Bürgern, die Flüchtlinge hilfsbereit aufnahmen, hatte die Kommission auch gegen Widerstand von Hausbesitzen zu kämpfen, die trotz verhältnismäßig viel Wohnraum keine oder nur wenige Flüchtlinge aufnehmen wollten. Beschlagnahmungen wurden diskutiert. Hausbesitzer protestierten laut in der Öffentlichkeit. Ungeeignete Kammern und andere Räume als angebotener Wohnraum wurden von anderer Seite bemängelt. 

Ein anderes Dokument berichtet von einer allgemeinen Essenausgabe in sogenannten „Verpflegsstationen“, die über das Jahr 1945 in der Bevölkerung für geregelte Mahlzeiten sorgte. Die Jahresbilanz beläuft sich auf 47955 Frühstücke, 38355 Mittagessen und 48759 Abendessen. Ein Spitzenwert ergab sich am 23. Juni 1945 mit 2584 ausgegebenen Mahlzeiten. Neben 230 Zentnern Kartoffeln sind als Zutaten 30 Zentner Gemüse genannt, gefolgt von Haferflocken, Erbsen und Bohnen.

Am 10. Juni 1945 veranlasste der Bürgermeister auf Drängen der Amerikaner großangelegte Hausdurchsuchungen. Anlass waren ausgiebige Plünderungen am Güterbahnhof, wo große Mengen an Nachschub u.a. für die Wehrmachtstruppen in Waggons und Lagern stehengeblieben waren. Im Fokus standen Nahrungsmittel und Waren des täglichen Bedarfs, darunter ganze Fässer Fett, Säcke mit Mehl und Zucker oder ganze Ballen Stoff. Die alliierten Truppen benötigten diese Dinge zur Ergänzung der eigenen Vorräte oder wollten diese zumindest in Entschädigungszahlungen umgewandelt sehen. Die Gemeinde war hier nur ausführendes Organ.

Essensmarke 1945

Aus einem Briefwechsel geht eine Liebesgeschichte zwischen dem Sergeant Throckmorton (United States Army 29th Infantry Regiment Unit Crest (We Lead the Way)) und einer Frau hervor, die jener in Oberkotzau kennengelernt hatte. In den Folgemonaten zog er in seinem Regiment weiter und sie zog zu einer Bekannten nach Höchstädt im Fichtelgebirge. Bürgermeister Georg Böhm wurde gebeten, die Frau ausfindig zu machen. Im Mai 1946 kommt das Paar schließlich in Bremen weder zusammen.

Georg Böhm orientierte sich 1946 wieder nach Helmbrechts und  spielte in der Firma Frankenwald-Flechterei eine tragende Rolle. Bereits um das Jahr 1949 ist er in Erlangen aktiv. Dort würde er zum Betriebsdirektor der „Baumwollindustrie Erlangen-Bamberg“ aufsteigen und in Erlangen seinen Lebensabend verbringen.

Veröffentlichungen als Heimatdichter

In der Heimatbeilage „Zwischen Döbraberg und Waldstein“ im Helmbrechtser Anzeiger vom 24. Februar 1962 würdigt Hans Seiffert im Nachruf das literarische Vermächtnis Böhms.  Er schildert ihn als vielseitig begabten und interessierten Menschen, der „außerberuflich“ als „Geologe“, „Heimatler“, „Dichter und Schriftsteller“ aktiv war. Er hebt das Bühnenstück „Helmbrecht“ heraus, welches 1924 mehrfach mit großem Erfolg aufgeführt wurde und 1957 mit Illustrationen von Karl Bedal gedruckt wurde. Allein im „Heimatkalender für Fichtelgebirge und Frankenwald“ erschienen in der Zeit von 1951 bis 1966 25 seiner Heimatgedichte. Auch im „Frankenwald – Zeitschrift des Frankenwald-Vereins“  sind immer wieder Gedichte von ihm erschienen.

Neben klassischen Heimatgedichten schrieb er auch Liebesgedichte.  Ein Bändchen „Rosenknospen“, womöglich nur der „einzigen Freundin im Leben“ und nicht der Öffentlichkeit zugedacht, ist ausgeführt mit Tusche bezüglich der Lettern und gerahmten Verzierungen aufwendig geschmückt.

Gedicht „Kastanie“ mit Illustration von Karl Bedal im Heimatkalender 1962

Erhalten haben sich handgeschriebene Gedichtbände, der erste beginnt im Jahr 1917. In seinen Gedichten und einzelnen Kurzgeschichten setzt er sich auch mit dem 1. Weltkrieg auseinander, sein Kriegstagebuch und Feldpostbriefe geben genaue Einblicke in seine Gedanken als Kriegsteilnehmer. Er schreibt über den Tod und das Sterben um ihn herum, die Einsamkeit, aber auch seine Sehnsüchte und Wünsche. Weitere Gedichte stimmen eher nachdenklich bis melancholisch sogar hin zu expressionistischen Zügen. Dennoch weisen auch einige frühe Gedicht deutschnationale Töne auf, die einem Zeitgeist der 1920er Jahre entspringen. Weitere Gedichte befassen sich mit der Natur, dem Jahreslauf, der unauffälligen Schönheit und Symbolik kleiner Beobachtungen und dem Wandern in heimatlich vertrautem Terrain. Dies gelingt ihm ohne Heimattümelei und schafft sogar Raum für ernste Botschaften, wie z.B. die Auseinandersetzung mit dem Altern in „Das alte Haus“. Seine vielen – auch unveröffentlichten – Gedichte erstrecken über Jahrzehnte und harren noch einer würdigenden Gesamtschau. 

Gedicht „Das alte Haus“ im Heimatkalender 1958

Bibliografie

* Beitrag „Abriß der Geschichte der heimischen Textilindustrie“ in Hans Seifferts „Helmbrechts – Geschichte einer oberfränkischen Kleinstadt“, Helmbrechts  1921
* Bühnenstück „Der Weberhans“, Singspiel
* Helmbrecht – ein historisches Volksstück, Helmbrechts 1957 (Bühnenstück von 1924)

Danke an Edwin Greim, Klaus Foerster, Alfred und Klaus Rauh, Udo Krausch, Steffen Hamele und Elfriede Schneider und allen Helfern, die das Entstehen dieses Aufsatzes möglich gemacht haben.

Erstveröffentlichung dieses Aufsatzes im Heimatkalender 2022